Geschwistergeschichten: Alltagsgeschichte des Geschwisternetzwerks einer Schweizer Pfarrfamilie 1910-1950 (German Edition) by Schnyder Arlette

Geschwistergeschichten: Alltagsgeschichte des Geschwisternetzwerks einer Schweizer Pfarrfamilie 1910-1950 (German Edition) by Schnyder Arlette

Autor:Schnyder, Arlette [Schnyder, Arlette]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783039197378
Herausgeber: hier + jetzt
veröffentlicht: 2013-05-26T00:00:00+00:00


46 Hedwig und Hanna auf einer Wanderung, Heinrichsbad um 1933.

Hedwig diente in der Familie Crespi sowohl als Gouvernante als auch als Hausdame. Sie unterrichtete den Sohn Franco, sie musste das Hauswesen mit den sage und schreibe 12 Bedienten arrangieren. So fiel ihr die Aufgabe zu, das Kindermädchen mit der kleinen Giulia Maria vertraut zu machen. Während die Kindermädchen wechselten, blieb Hedwig elf Jahre in dieser Stelle bis zu ihrer Rückkehr in die Schweiz. Hedwig hatte bei Crespis eine zentrale Position. Dies wurde jedoch nicht nur als angenehm empfunden, ja zuweilen musste sie unter der Nähe der herrschaftlich-frivolen Verhältnisse leiden: «Bis jetzt, da ich allein war, habe ich immer bei Tisch gegessen und es waren alle nett mit mir, jetzt, da die Nurse da ist, esse ich mit ihr und ich ziehe es entschieden vor, ich bin freier und die Unterhaltung bei Tisch ist meist so unanständig und zweideutig, dass ich froh bin, wenn ich sie nicht hören muss!»363

Auch wenn die Gouvernante am Tisch der Familie anständig behandelt wurde, brüskierte sie der Umgangston ihrer Herrschaften. Sie zog die Gesellschaft der ihr untergeordneten Nurse vor. Wie schon bei ihren Florentiner Herrschaften war auch hier die Position der Erzieherin eine relativ einsame. Der Brief des jungen Hauslehrers Walter aus Mailand an den ältesten Bruder Ernst lässt das Umfeld Hedwigs an ihrem neuen Arbeitsort in Erscheinung treten: «Schad dass das Zimmer eben so hotelmässigen Charakter hat, dass man immer geneigt ist zu fragen: Was kost’s, so gar nicht heimelig, so wenig wie das ganze Milieu. Es muss wirklich nicht leicht sein, sich nach 18 Jahren in eine so ganz neue Welt zu gewöhnen mit ihren sehr kuriosen Einfällen. Ich bewundere Hedy u. nehme demgemäss die obligaten kleineren Ärger meiner Stelle mit grösserer Ruhe hin.»364

Ihr Zimmerchen war ebenso befremdlich und unpersönlich wie «das ganze Milieu», in welchem die frisch nach Mailand gekommene Gouvernante lebte. Bewundernswürdig fand der Bruder wohl, dass sich die Schwester klaglos in ihre neue Arbeitsstelle mit dem wenig attraktiven Privatraum bei den äusserst reichen Herrschaften gab. Was mit den «sehr kuriosen Einfällen» gemeint sein könnte, beschreibt Hedwig, als sich bei ihren Herrschaften Crespi in Mailand eine neue Nurse365 vorstellte: «Diese Nurse ist weder jünger noch hübscher als die andere Nurse, die nach einer Woche wieder nach England gesandt wurde, faute de mieux hat man sie engagiert und als sie gestern Signora Crespi sah, hatte sie une crise de nerve. ‹La mia povera bambola, [...] la mia povera bambola non voglio una brutta Nurse per la mia povera bambola!› – Ich tue mein Bestes, um der Nurse zu helfen, aber meine Geduld mit so verrückten Leuten ist bald zu Ende. Meine Zeit ist geteilt zwischen dem Hause und dem Kind; denn um der Nurse die Sache zu erleichtern gehe ich mit ihr aus am Morgen und spiele im Zimmer, das Kind gewöhnt sich so am ehesten, da ich auch englisch spreche.»366

Hedwig, die für die Angestellten zuständig war, versuchte der neuen Kinderfrau den Einstieg in die offensichtlich schwierigen Verhältnisse zu erleichtern. Dass die Familie eine Nurse anstellte, verweist auf einen Trend, der zu Beginn des 20.



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